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Samstag, 3. Dezember 2016

1. Themen

Nichts im Leben, außer Gesundheit und Tugend, ist schätzenswerter als Kenntnis und Wissen; auch ist nichts so leicht zu erreichen und so wohlfeil zu erhandeln: die ganze Arbeit ist Ruhigsein und die Ausgabe Zeit, die wir nicht retten, ohne sie auszugeben.

Johann Wolfgang von Goethe


PANOPTIKUM INTERESSANTER DINGE UND BEGEBENHEITEN

Dieses kleine Büchlein ist ein Experiment. Es geht darin um Dinge, Themen und Begebenheiten, die zumindest der Autor – und ich hoffe letztendlich auch Sie, der Leser – in der einen und anderen Form als nicht ganz uninteressant empfinden, weil die angeschnittenen Themen vielleicht für Sie in dem behandelten Kontext neu sind oder sich dabei Zusammenhänge auftun, die nicht nur auf dem ersten Blick überraschend erscheinen mögen. Kurz gesagt, das Ziel des Büchleins ist etwas, was man in gebildeten Kreisen als „Horizonterweiterung“ bezeichnen würde. Es vermittelt auf unterhaltsame Art und Weise Wissen um der Erkenntnis wegen und unter der Prämisse, dass „jede Art von Wissen“ (im Unterschied zum „Nichtwissen“) etwas Nützliches und Erstrebenswertes ist, und selbst dann, wenn man es vielleicht nur in gepflegten Smalltalks zur „Anwendung“ bringen kann… Und glauben Sie mir – wenn Sie es nicht schon selbst festgestellt haben – unsere „Welt“ wird einen umso interessanter und erstaunlicher erscheinen, je mehr man darüber weiß. In diesem Sinne soll dieses Büchlein auch eine kleine Hommage an die Allgemeinbildung sein, deren Vernachlässigung man leider immer mehr in einer Welt, in welcher nur noch eng begrenztes Fachwissen von Wert zu sein scheint, konstatieren muss.

Vielleicht animiert Sie auch das eine oder andere Thema, sich mit den behandelten Sachverhalten auch anderweitig auseinanderzusetzen – und wenn es nur ein ergänzender Blick in die Wikipedia ist (um den Zeitgeist zu frönen) oder das Thema Sie animiert, den Fernseher entgegen jeder Gewohnheit am Abend auszulassen und stattdessen wieder einmal zu einem guten Buch zu greifen. Denn die Schrift und die sie ermöglichenden Bücher und Bibliotheken sind die bei weitem wichtigsten Erfindungen, welche die Menschheit in ihrer Geschichte hervorgebracht hat, nicht etwa das Fernsehen, das Internet, das Automobil oder das Smartphone, wie manche vielleicht annehmen mögen. Denn Bücher bewahren Wissen über das Leben der Menschen hinaus auf, die dieses Wissen einst einmal zusammengetragen, zusammengestellt und vielleicht sogar selbst erarbeitet haben. Sie stellen das eigentliche Gedächtnis der Menschheit dar und sind damit die Grundlage für jeden wissenschaftlich-technologischen und natürlich auch kulturellen Fortschritt. Deshalb verachtet Bücher nicht! Denn ohne Bücher und Bibliotheken gäbe es mit Sicherheit heute all das nicht, was unser Leben in einer modernen Gesellschaft so bequem und lebenswert macht. Schon der große mährische Pädagoge Johann Amos Comenius (1592-1670) schrieb im Jahre 1650:

Wenn es keine Bücher gäbe, wären wir alle völlig roh und ungebildet, denn wir besäßen keinerlei Kenntnisse über das Vergangene, keine von göttlichen oder menschlichen Dingen. Selbst wenn wir irgendein Wissen hätten, so gliche es den Sagen, die durch die fließende Unbeständigkeit mündlicher Überlieferung tausendmal verändert wurden. Welch göttliches Geschenk sind also die Bücher für den Menschengeist! Kein größeres könnte man sich für ein Leben des Gedächtnisses und des Urteils wünschen. Sie nicht lieben heißt die Weisheit nicht lieben. Die Weisheit aber nicht lieben bedeutet, ein Dummkopf zu sein. Das ist eine Beleidigung für den göttlichen Schöpfer, welcher will, dass wir sein Abbild werden.





Johann Amos Comenius

2. Wunderkammern

Eng mit den Bibliotheken verwandt (und in denen man bekanntlich Bücher und Schriften aller Art sammelt) ist das Panoptikum, die Wunderkammer, in der man seit dem späten Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit „Dinge“, in erster Linie „Kuriositäten“, naturkundliche Objekte sowie Kunstgegenstände, meist alles andere als systematisch gesammelt und aufbewahrt hat. Ein weltweit bekanntes Beispiel dafür ist das berühmte „Grüne Gewölbe“ in Dresden, welches Sie unbedingt besuchen sollten, wenn es Sie einmal nach Dresden verschlägt. Es ist die Schatz- und Wunderkammer der Wettiner Fürsten, die darin ihre Kunstschätze seit 1724 öffentlich zugänglich gemacht haben. Obwohl es sich hier eher um eine Kunstsammlung handelt, kann sie ihren Ursprung aus dem gerade in der Barockzeit unter den weltlichen Herrschern weit verbreiteten Wunsch nach dem Besitz „wunderlicher und kurioser Dinge“ kaum verheimlichen. Ja, August der Starke stellte selbst fähige Künstler und Handwerker seiner Zeit an, um entsprechende Exponate nach seinen Wunschvorstellungen herstellen zu lassen. Ich denke hier nur an den Hofgoldschmieds Johann Melchior Dinglinger (1664-1731), dessen Arbeiten (beispielsweise „Das goldene Kaffeezeug” (1701) oder das „Bad der Diana” (1704)) auch heute noch zu den herausragenden Exponaten des „Grünen Gewölbes” zählen.

Der Begriff der „Wunderkammer” wurde meines Wissens zum ersten Mal in der sogenannten „Zimmerischen Chronik”, der Familienchronik der Grafen von Zimmern aus Meßkirch in Baden-Württemberg (sie entstand zwischen 1564 und 1566), verwendet, um damit eine unspezifische Kunst-, Naturalien- und Kuriositätensammlung zu bezeichnen, wie sie besonders im Zeitalter des Barocks unter Landesherrn und vermögenden Bürgern weit verbreitet waren. Damit konnte man angeben, seine hohe Bildung beweisen und sein Vermögen in diesem Sinne „sinnvoll” anlegen. Exponate gab es zuhauf. Insbesondere die Entdeckungs- und Handelsreisen nach „Übersee“ brachten stetigen Nachschub an Tierbälgen, Trophäen, ethnographischen „Kuriosa“ mit, die dann in entsprechenden „Kuriositätenkabinetten“ landeten…

Es gab aber auch „städtische Wunderkammern“, die sich, wie die im ostsächsischen Zittau, bis auf das Jahr 1564 zurückverfolgen lassen. In genau diesem Jahr wurde hier mit der Schenkung einer Wiener Standsonnenuhr quasi ihr „Grundstein“ gelegt. Aus deren reichem Bücherbestand entwickelte sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte eine überaus wertvolle Bibliothek, die zu Teilen noch heute im Altbestand der Christian-Weise-Bibliothek erhalten geblieben und Interessenten zugänglich ist. Einige der Kunstgegenstände daraus (wie z. B. der „Engelmannsche Himmelsglobus“ von 1690 oder die Armillarsphäre von 1790) können im Zittauer Stadtmuseum besichtigt werden.

In früheren Zeiten bezeichnete man solch eine „Wunderkammer“ meist als ein Panoptikum. Heute wird dieser Begriff gewöhnlich nur noch als Synonym für ein „Wachsfigurenkabinett“ verwendet, welches ja, wenn man es richtig betrachtet, in einem gewissen Sinn auch nur eine spezielle Art von „Wunderkammer“ darstellt, insbesondere dann, wenn man sich vor Augen führt, wie die dort ausgestellten und ausgesprochen lebensecht wirkende Figuren hergestellt werden.

Im Sinne des Titels dieses Buches wollen wir uns unter „Panoptikum“ dann doch eher ein „barockes Kuriositätenkabinett“ vorstellen, welches eine Vielzahl unterschiedlichster „wunderlicher Dinge“ enthält, wobei der Begriff „wunderliche Dinge“ sehr weit gefasst wird und nicht nur „dinghafte“ Objekte, sondern auch Begebenheiten, Lebensschicksale, wissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse, geschichtliche Ereignisse sowie technische und kulturelle Errungenschaften umfassen soll. Und wenn diese Dinge nicht nur bemerkenswert, sondern auch noch interessant sind (d. h. eine kognitive Anteilnahme auch ohne erkennbaren höheren Zweck bei Ihnen als Leser oder Betrachter hervorrufen), ja dann sind sie vielleicht sogar Thema dieses Buches…

3. Es gibt nichts Neues unter der Sonne

So, und damit soll es auch schon mit der ganze Vorrede gewesen sein. Denn wie heißt es schon in der Bibel unter „Prediger 1,9“: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Denn, wenn man es ganz genau betrachtet, ist alles, was Sie im Folgenden lesen werden bzw. sogar alles, was Sie in ihrem Leben bis heute bereits gelesen haben oder in Zukunft noch je lesen werden, als Text in einer codierten Form in einer Zahl enthalten, deren ersten drei Ziffern (eine Vorkommastelle, zwei Nachkommastellen) ihnen garantiert bekannt vorkommt. Und wenn Sie sich darüber hinaus noch folgenden, etwas holprigen Spruch merken und dabei auch noch dessen tieferen Sinn erkennen, dann kennen Sie die Kreiszahl Pi – und um die geht es hier - sogar bis auf 31 Stellen nach dem Komma genau:

Sei e hoch i reell bezwecket, es klappt nicht mit jenem Exponent. Imaginäre Untiefe verdecket, wer Pi mit Primzahl zwei dezent zu dieser Zahl mit Mut verrührt, bis so Einheit Erweckung spürt.

Was nicht im Buch steht...

Der Prediger Salomo Kapitel 1 Vers 6

Eulersche Beziehung und die ersten 31 Stellen von Pi (Merkspruch)

3.1415926535897932384626433832795

5. Jedes Buch der Welt ist in Pi enthalten

Aber was ist nun erst einmal eine „Normale Zahl“? Als normale Zahl wird in der Mathematik eine reelle Zahl bezeichnet, unter deren Nachkommaziffern für jedes k > 1 alle möglichen k-stelligen Ziffernblöcke mit gleichen asymptotischen relativen Häufigkeiten auftreten. Oder anders ausgedrückt, jede der Ziffern „0“, „1“, „2“ … „9“ kommt statistisch gesehen in ihr gleich oft vor. Und genau das führt zu der bereits erwähnten zutiefst logischen und unausweichlichen Konsequenz: Dieses Buch, welches Sie hier lesen, ist in verschlüsselter Form irgendwo in Pi enthalten. Und auch in allen denkbaren Kombinationen von Druckfehlern etc. pp. „Verschlüsselt“ bedeutet hier nichts weiter, als dass man z. B. irgendeinen Buchstaben oder ein Zeichen gemäß dem ASCII-Code (als Beispiel für eine häufig verwendete Codierung) durch drei aufeinanderfolgende Ziffern verschlüsselt und auf diese Weise eine beliebige Zahlenfolge in Pi in eine Buchstabenfolge rückübersetzen kann. Es ist bei einer normalen transzendenten Zahl mit unendlich vielen Nachkommastellen natürlich müssig, in ihr konkret nach einem codierten Buch zu suchen (wie gesagt, jeder endliche Teil dieser Zahlenfolge ist (winzig) klein gegenüber der gesamten (unendlichen) Zahlenfolge). Auch in den 13,3 Billionen bis heute bekannten Stellen wird man in dieser Beziehung kaum mit Erfolg rechnen können...

Was nicht im Buch steht...

ASCII-Code-Tabelle

Ist die Kreiszahl Pi eine "normale Zahl"? (Spiegel-Artikel)

Diplomarbeit über normale Zahlen (C. Aistleitner)



6. ISBN und Pi

Aber nun haben sich ein paar Enthusiasten gedacht, man kann die Sache ja einmal ganz entspannt angehen und schauen, welche Bücher in den ersten 50 Millionen Nachkommastellen von Pi wohl enthalten sind – und zwar anhand ihrer ISBN-Nummer. Also flugs ein Programm geschrieben und alle ISBN-Nummern überprüft, ob ihre 13 Stellen irgendwo in diesem winzig kleinen Teil der Ziffernfolge, die Pi ausmacht, hintereinander auftauchen. Und man wurde erwartungsgemäß auch prompt fündig.

Was nicht im Buch steht...

ISBN-Suche

Bücher von mir (M.S.) mit ISBN-Nummer:

ISBN-10: 3662470365
ISBN-13: 978-3662470367

ISBN-10: 3642417485
ISBN-13: 978-3642417481


7. Schneeweißchen und Rosenrot

So ließen sich schon beim ersten Versuch 3 Bücher auf diese Weise in Pi eindeutig identifizieren, darunter die holländische Ausgabe des Märchens „Schneeweißchen und Rosenrot“ der Gebrüder Grimm. Dieses leider in der heutigen Zeit etwas in Vergessenheit geratene Märchen hat in einem Lied der deutschen Rockgruppe „Rammstein“ erst kürzlich eine gewisse Renaissance erfahren (in Form des Titels „Rosenrot“ auf dem gleichnamigen Album von 2005) und ist schnell auf YouTube zu finden. Ursprünglich ist dieses Märchen selbst eine Adaption eines anderen Märchens gewesen, welches auf die Pädagogin Karoline Stahl (1776-1837) zurückgeht und das 1837 in die berühmten Sammlung „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm (Jacob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859)) aufgenommen wurde. Dass aber gerade diesem Märchen eine besonders tiefe tiefenpsychologische Bedeutung zukommt, wusste aber weder Karoline Stahl, die es erfunden hat, noch ahnten es die Brüder Grimm, die es in ihre Märchensammlung übernommen hatten. Erst der bekannte Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann, der übrigens eine sehr lesenswerte Biografie über Giordano Bruno (1548-1600) geschrieben hat (ISBN 3-423-30747-1), gelang diese wahrhaft fundamentale Entdeckung…

Was nicht im Buch steht...

Schneeweißchen und Rosenrot (Originalfassung)

Schneeweißchen und Rosenrot (Kurzfassung)

Romantische Dichtungen von Karoline Stahl 


Rammstein: Rosenrot


Eugen Drewermann über Giordano Bruno (Teil 1)


Eugen Drewermann über Giordano Bruno (Teil 2)

8. Die Brüder Grimm und das “Deutsche Wörterbuch“

Doch zurück zu den Brüdern Grimm. Ihre eigentliche Leistung als Germanisten liegt in der Herausgabe des „Deutschen Wörterbuchs“, ein Werk von 34.824 Seiten, welches erst 1961, also 123 Jahre nach dessen Beginn, vollendet werden konnte. Es ist heute für jedermann im Internet kostenlos einsehbar, kann aber auch als 33-bändige gedruckte Ausgabe in Leder für schlappe 4000 € als Zierde für die heimische Bücherwand erworben werden. Wenn man also wissen will, was ein bestimmtes deutsches Wort, welches es eventuell noch nicht bis in die Wikipedia geschafft hat, genau bedeutet, dann ist Grimm’s Wörterbuch zweifellos die erste Wahl, um das in Erfahrung zu bringen. Oder wissen sie auf Anhieb, welche Bedeutung das Verb „abblatten“ hat? „Entblättern“ ja, aber „abblatten“? Wenn ja, denn sind Sie entweder Mediziner oder Jäger. Denn „abblatten“ tut das Wild, wenn es das grüne Laub von jungen Bäumen zupft oder aber das Schultergelenk, wenn aus irgendeinem Grund der Nervus suprascapularis gelähmt ist. Wörter haben also eine Bedeutung und eine Herkunft. Beides versuchten Jacob und Wilhelm Grimm für jedes deutsche Wort, dessen sie irgendwie habhaft werden konnten, zu ermitteln.

Was nicht im Buch steht...



Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm (Digitalfassung)

Kleine Ausgabe der Grimmschen Hausmärchen

Die Brüder Grimm: Kurzbiografie für Kinder