Der „Wahlforscher“ spricht hier vom „Condorcet-Paradoxon“, benannt nach Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet (1743-1794). Er konnte nämlich schon zur Zeit der Französischen Revolution zeigen, dass das Ergebnis einer Wahl nicht unbedingt von der Stimmabgabe, sondern auch von der Art deren Auswertung abhängen kann. Deshalb sind alle Wahlverfahren (und es gibt sehr viele!) in den demokratischen und scheindemokratischen Ländern dieser Welt auch oftmals äußerst kompliziert und man versucht, die offensichtlichen Ungerechtigkeiten mit einem System von Überhangmandaten oder mit der Realisierung zweiter und dritter Wahlgänge zu verschleiern bzw. zu korrigieren.
In vielen Ländern, so auch bei uns in Deutschland, wählt man vordergründig nicht Personen, sondern Parteien mit ihren jeweils spezifischen Wahlprogrammen, deren Inhalte aber oftmals nach dem Wahltag schnell wieder der Vergessenheit anheimfallen. Auch hier kommt es zu einem Problem, welches u. U. das System ad absurdum führen kann. Es lässt sich am besten an einem Beispiel erläutern, wobei zur Vereinfachung von nur zwei konkurrierenden Parteien mit jeweils einem unterschiedlichen Wahlprogramm als Angebot für die Wähler ausgegangen werden soll. Diese Parteien sollen der begrifflichen Anschaulichkeit halber die CDU und die SPD sein, wobei die folgenden „Unterstellungen“ bitte nur als Beispiele verstanden werden sollten.
Die Hauptwahlkampfthemen sind: 1. Haltung gegenüber Russland; 2. Energiewende und 3. Subventionspolitik gegenüber der Wirtschaft. Die CDU tritt 1. für keine Unterstützung Russlands, 2. für eine Senkung der Energiekosten und 3. für Subventionsabbau ein. Die SPD unterstützt (in diesem Beispiel!) immer genau das Gegenteil. Nach der Auswertung der Wahl konnten folgende vier Wählerdomänen identifiziert werden: Domäne A (20% Wählerstimmen) – keine Unterstützung Russlands, Erhöhung der Energiepreise, Subventionsbeibehaltung; Domäne B (20% Wählerstimmen) – Unterstützung Russlands, Senkung der Energiepreise, Subventionsbeibehaltung; Domäne C (20% Wählerstimmen) – Unterstützung Russlands, Erhöhung der Energiepreise, Subventionsabbau; Domäne D (40% Wählerstimmen) – keine Unterstützung Russlands, Senkung der Energiepreise, Subventionsabbau. Damit ergibt sich prozentual folgende Verteilung der Wählerstimmen auf die im Wahlkampf thematisierten Punkte: gegen eine Unterstützung Russlands sprechen sich 60 Prozent der Wähler, für eine Senkung der Energiepreise auch 60 Prozent und selbst für einen Subventionsabbau votieren noch 60 Prozent. Andererseits wählte die Wählergruppe A SPD, da sie die Energiekosten erhöhen und die Subventionen beibehalten will. Auch die Wählergruppe B wählte SPD, weil sie Russland unterstützen und gegen Subventionsabbau ist; Desgleichen stimmte auch Wählergruppe C für die SPD, weil sie die Erhöhung der Energiekosten und die Unterstützung Russlands OK fanden. Nur Wählergruppe D mit 40 Prozent der Stimmen wählte CDU, da sie mit allen Punkten in deren Wahlprogramm einverstanden waren. Offensichtlich gewinnt die SPD mit insgesamt 60 Prozent die Wahl, obwohl sich gegen jedes einzelne Wahlversprechen, das sie gemacht haben, 60 Prozent aller Wähler wenden! In keinem der genannten Punkte vertritt nämlich diese Partei in diesem Beispiel die Mehrheit. Kein Wunder also, dass sich die Wähler verarscht vorkommen.
Damit will ich es erst einmal belassen gemäß dem Sinnspruch „Si tacuisses, philosophus mansisses“. Aber auf eine Dummheit, die auch heute noch in manchen Kreisen wie eine Wissenschaft betrieben wird, muss ich nach diesem kleinen Ausflug in die Abgründe der demokratischen Staatsform doch noch eingehen: Der Astrologie.
Was nicht im Buch steht...
Das Condorcet- oder Arrow-Paradoxon (pdf)
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