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Samstag, 3. Dezember 2016

50. Dummheit als Weltmacht

Denn, wie Karl Jaspers (1883-1969) es einmal gar trefflich ausgedrückt hat: „Wer nur die Gegenwart kennt, muss verblöden“ – womit wir beim Thema der geistigen Armut und damit bei einer Weltmacht ohnegleichen angelangt sind, der Dummheit. Ihr Gegenteil ist in gewissem Sinn der Verstand. Und nichts auf der Welt ist gerechter verteilt, als der Verstand, denn jeder denkt, er hat davon genug abbekommen. Beides, Dummheit und Verstand, bilden einen dialektischen Gegensatz und beide sind allgemeine menschliche Phänomene, welche die Welt verändern können – im Guten wie im Schlechten. „O sancta simplicitas!“ sollen die letzten Worte Jan Hus auf dem Scheiterhaufen gewesen sein, auf dem man den großen böhmischen Reformator am 6. Juli des Jahres 1415 in Konstanz verbrannte. Hätte man zu diesem Zeitpunkt schon diese politisch äußerst dumme Tat in ihren Konsequenzen überblickt, hätte man für die folgenden Jahrzehnte viel Leid verhindern können. Aber andererseits, wenn es nicht zu den Hussitenkriegen gekommen wäre, hätte es halt andere Kriege gegeben… Nun ja, die menschliche Dummheit…

Dummheit ist erst einmal nichts anderes als der Mangel an Urteilskraft aufgrund geringen Wissens, wobei mangelhafte Intelligenz ein Grund sein kann, aber nicht sein muss. Deshalb soll im Folgenden „Dummheit“ nicht im Sinne einer krankhaften Beeinträchtigung, im Sinne von Schwachsinn oder Idiotie, verstanden werden, dessen Träger keine Schuld daran tragen. Es geht um selbstverschuldete Dummheit sowie um (meist unbewusste) Dummheit als eine weit verbreitete Lebenseinstellung. Dazu gehört auch die Beobachtung, dass bei vielen Menschen außergewöhnliche Klugheit auf einem Gebiet mit einer schauerlichen Dummheit auf einem anderen Gebiet durchaus einhergehen kann. Aber das ist der hochgradigen Spezialisierung geschuldet, denn in der Arbeitswelt ist natürlich Spezialwissen mehr gefragt als Allgemeinwissen. Die tägliche oder allgemeine Dummheit äußert sich dagegen an einem pathologischen Desinteresse an Dingen, die der kluge Mensch aus innerem Antrieb zu erfahren sucht und weshalb er z. T. beachtliche Mühen auf sich nimmt, um an ihnen intellektuell teilhaben zu können. Dies ist übrigens schon Arthur Schopenhauer (1788-1860) aufgefallen, der in seinem Aphorismenwerk „Parerga und Paralipomena“ schrieb:

„… die meisten Menschen haben, wenn auch nicht mit deutlichem Bewusstsein, doch im Grunde ihres Herzen, als oberste Maxime und Richtschnur ihres Wandels den Vorsatz, mit dem kleinstmöglichen Aufwand an Gedanken auszukommen, weil ihnen das Denken eine Last und Beschwerde ist. Demgemäß denken sie nur knapp soviel, wie ihr Berufsgeschäft schlechterdings nötig macht, und dann wieder soviel, wie ihre verschiedenen Zeitvertreibe, sowohl Gespräche als Spiele, erfordern, die dann aber beide darauf eingerichtet sein müssen, einem Minimo von Gedanken bestritten werden zu können. Fehlt es jedoch, in arbeitsfreien Stunden an dergleichen, so werden sie stundenlang am Fenster liegen, die unbedeutendsten Vorgänge angaffend, eher als dass sie ein Buch zur Hand nehmen sollten, weil dies die Denkkraft in Anspruch nimmt.“

Merken Sie was? Es hat sich seit Schopenhauer nichts Entscheidendes geändert. Die Bank vor dem Fenster ist bei manchen Mitmenschen nur vom Sessel vor der Glotze oder dem Stuhl vor dem Monitor der Spielkonsole abgelöst worden. Auch mit einem Smartphone kann man sich stundenlang beschäftigen, ohne dass sich darin irgendein intellektueller Nutzen ersehen lässt. Womit sich gleich die zweite große Erkenntnis niederschreiben lässt, zu der schon Erasmus von Rotterdam (1466?-1536) in seiner „Lob der Torheit“ gelangt ist: „Dummheit ist zeitlos“. Und Christus sagte in seiner Bergpredigt bekanntlich (hier in Kirchenlatein zitiert): Beati pauperes spiritu quoniam iprosum est regnum caelorum, was sich mit etwas Chuzpe kurz und bündig mit „Dumm und glücklich“ als erstrebenswerten Gemütszustand übersetzen lässt (na gut, wenn man das Zitat etwas bösartig misinterpretiert..).

Auf einen in diesem Zusammenhang Nachdenkens werten Sachverhalt hat Robert Musil (1880-1942) im Jahre 1937 hingewiesen, in dem er bemerkt, „dass, wer über die Dummheit spreche, sich natürlich anmaße, nicht von ihr betroffen zu sein - oder jedenfalls nicht in einem Maße, welches ihm das klare Urteilen über sie verunmöglicht. Denn sich selbst für klug zu halten, werde nämlich oft schon als ein Indiz für Dummheit gewertet“.

Und hier noch eine scharfsinnig von Wilhelm Busch (1832-1908) in Reime gefasste Einsicht, die von großer Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe zeugt:

Oftmals paaret im Gemüte
Dummheit sich mit Herzensgüte
während höh're Geistesgaben
meistens böse Menschen haben.

Aber ist Dummheit auch schädlich? Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten. Auch in den heutigen zivilisierten und sogenannten hochkultivierten Völkern dürfte ein gewisses Maß von Dummheit für das Bestehen des Individuums eher förderlich als hinderlich sein (Horst Geyer). Auch muss man den individuellen Schaden, den sie anrichtet (was aber vom Betroffenen gewöhnlich gar nicht bemerkt wird) von dem Schaden unterscheiden, die dumme Entscheidungen für andere mit sich bringen können. Unwissenheit und das Fehlen der Fähigkeit zum kritischen Denken, dessen Überwindung von Kant in den Satz gefasst wurde „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, wird heute immer noch in der Politik schamlos ausgenutzt, um nicht dem Gemeinwohl, sondern partikuläre Interessen oder diverse Ideologien dienenden Entscheidungen durchzusetzen. Man hat manchmal den Eindruck, dass der alte Spruch „halt du sie dumm, ich halt sie arm“, immer noch eine Maxime parteipolitischer Einflussnahme ist.

Was nicht im Buch steht...

Was soll man dazu noch sagen...



Leute, die das "Panoptikum lesen", passiert so etwas garantiert nicht...

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